Gelingt es Ihnen sich gedanklich in die Zeit vor 100 Jahren zurück zu versetzen, wo die Menschen froh waren, dass sie in komfortablen Kutschen reisen konnten? Stellen Sie sich vor, wieviel Staunen und Unglaube Sie ernten würden, wenn Sie diesen Leuten von den heutigen Autos und selbstfahrenden Fahrzeugen erzählen! Auch ein privilegierter, gutbürgerlicher Besitzer eines Handkurbel-Telefons vor 100 Jahren, könnte Ihre Berichte von smartphones in den Hosentaschen der Kinder kaum glauben.
Nicht ganz so rasant entwickelte sich leider unser Schulsystem. Dort ist im vergangenen Jahrhundert noch sehr viel gleich geblieben.
Wieso bloß hinkt das Bildungssystem den anderen Errungenschaften hinterher? Liegt es möglicherweise daran, dass es von Erwachsenen gestaltet wird, welche ihrerseits von Lehrern unterrichtet worden sind, welche wiederum in diesem System gelernt haben?
Vielleicht wie die Weiterentwicklung einer Handmühle: Die Materialien sind inzwischen stabiler und leichter, der Griff ergonomischer – aber es ist nach wie vor eine Handmühle. Anstatt diese nun weiterhin zu verbessern, könnte man ja auch den Gedanken fassen, das Gerät ganz grundsätzlich zu überdenken.
Genau das haben Kinder während der letzten Jahrzehnte in besonderen Projekten internationaler Experimentalschulen gemacht: Dabei bestimmten nicht die Erwachsenen die Herangehensweise des Schulprozesses, sondern die Kinder aus ihrem besonderen Wesen heraus. Das Resultat heißt KiEP – Kinder entwickelte Pädagogik – und ist ein Paradigmenwechsel in der Schulwelt. Dabei zeigte sich, dass das Lernen höchst effizient und freudvoll wird, sobald die Kinder in die Entwicklung der Pädagogik und Didaktik aktiv mit einbezogen werden.
Ganz konkret heißt das dann: Bereits ab Beginn der ersten Klasse werden bei KiEP alle Inhalte der gesamten Schulzeit unterrichtet. Zuerst auf einfache Art und Weise, später immer weiter vertiefend. Zu vergleichen mit einem Bild, welches zu Beginn zwar bereits komplett zu sehen ist, jedoch noch unscharf – mit der Zeit jedoch an Schärfe gewinnt.
Zu diesem Zweck erfolgt der Unterrichtin immer wiederkehrenden Zyklen.
Der Vergesslichkeit wird dadurch entgegengewirkt und Kinder haben immer wieder eine neue Chance, Inhalte tiefer zu verstehen.
Das Wissen wird in einfachen, anschaulichen Schritten selbsterklärend und präzise angeboten. Kombiniert mit der Möglichkeit zur Selbstkontrolle, können die Kinder auf diese Weise ihr Wissen kindgerecht von Kindern, an andere Kinder weitergeben. Schüler sind dadurch bei KiEP ein aktiver Teil des Bildungsprozesses. Das hat weitreichende, nicht zu unterschätzende Folgen: Aus dieser Art des Lernens und Lehrens erwächst die Erfahrung der Selbstwirksamkeit – im Gegensatz zu rein konsumierendem, passivem Verhalten, welches den Menschen klein hält.
Bei KiEP werden die Lerninhalte systematisiert angeboten, dadurch fällt das Lernen viel leichter, ist effizienter und befriedigt die natürliche Neugier der Kinder. Das Lernen wird wie das Einüben von einfachen Spielregeln. Dabei ermöglicht dieser systematisierte Aufbau der Lernschritte, dass sie – durch das bisher Verstandene – das nächste Thema fundiert erlernen können.
Ein Beispiel hierzu: In der Abbildung links sind die Formeln zur Berechnung der geometrischen Körper und Flächen in einer bekannten Form aufgelistet. Die Abbildung rechts, zeigt die Systematisierte Darstellung der Formeln nach KiEP. Durch das Systematisieren wird folgendes sichtbar: Aus der Flächenformel für das Quadrat, leitet sich der Kreis und das Dreieck ab. Multipliziert mit der Höhe, ergeben sich die Volumenformeln der Prismen. Dividiert man diese durch 3, ergeben sich die dazu passenden spitzen Körper (Pyramiden).
Werden diese mit einem Faktor multipliziert, resultieren daraus die zugehörigen Stümpfe.
Kein Inhalt steht alleine, jede Formel steht im Bezug zu einer bereits bekannten Formel und baut auf dieser auf. Bei KiEP sind – wie hier in diesem Beispiel – alle Fächer und Themeninhalte aufeinander aufbauend und miteinander vernetzt.
Wesentlich bei KiEP ist ebenso, dass ein Kind erst dann zu einem weiteren Bildungsinhalt übergeht, wenn es den vorhergehenden wirklich verstanden hat.
Dem Kleinen zum Großen folgend, entsteht ganz natürlich eine evolutionäre Sachlogik – also eine naturgemäße Reihenfolge des zu Lernenden: Am Anfang steht die Sprache – als Grundlage der Kommunikation. Darauf folgt die Mathematik – die Kunst des Lernens – als eine von der Materie losgelöste Wissenschaft. Sie trainiert das systematische logische Denken, welches auf andere Fächer übertragen werden kann. Anschließend geht es weiter zur Physik. Mit der Atomphysik beginnt die Betrachtung der Materie mit ihren Gesetzen.
Durch die Verbindung von Atomen steigen wir in das Wissen der Chemie ein und gelangen mit zunehmender Komplexität zu den Grundbausteinen des Lebens in der Biochemie.
Die Biologie befasst sich mit lebenden Organismen bis hin zur Biogeozönose. Diese wiederum entfaltet sich auf der Erde, welche nun in ihrer Vielfältigkeit in der Geografie studiert wird. Die Geschichte beschreibt dann das, was Menschen im Laufe der Zeit über sich zu erzählen haben.
In allen bisher genannten Aspekten ist individuelles Lernen in individuellen Lernstufen möglich und berücksichtigt auch die Tatsache, dass die Gehirnentwicklung eines jeden Kindes unterschiedlich verläuft und sich selbst bei Gleichaltrigen um Jahre unterscheiden kann.
Bei KiEP handelt es sich also nicht bloß um einen Paradigmenwechsel in der Pädagogik, sondern ebenso wird eine völlig neue Didaktik angewandt. Der Lernprozess beschleunigt sich – durch die konstante Einbeziehung der Kinder – essenziell. Dadurch steht dann auch viel mehr Zeit für weitere Aktivitäten zur Verfügung.
Die Entwicklung weiterer Fähigkeiten, der Persönlichkeit und der Fitness bekommen – weil die Kinder das auch so wünschen – einen gebührenden Platz im Tagesablauf. Und zwar nicht theoretisch im Unterricht, sondern ganz lebensnah, also praktisch umgesetzt. KiEP bietet somit auch die Möglichkeit aus hauswirtschaftlichen, künstlerischen, sportlichen, handwerklichen und beruflichen Bereichen heraus zu lernen und entsprechende Aktivitäten auszuüben. Auch hier wird wiederum ein förderliches soziales Miteinander – ohne Verlust der Individualität – vorgelebt und erlernt.
Bei KiEP wird also nur ein Viertel der Schulzeit zum reinen Wissenserwerb benötigt. Dies reicht aus, wenn sich Pädagogik und Didaktik kind- und hirngerecht weiterentwickelt haben. Die Funktion des Lehrers besteht dann darin, selbst ein Vorbild für lebenslanges Lernen zu sein und die Kinder entsprechend bewusst zu begleiten.
Auf diese Weise ist die Schule dann auch nicht mehr eine mühselige Handmühle, sondern endlich eine viel effektivere Windmühle. Daher heißt ein Grundsatz von KiEP auch:
„Viel Freude
und Erfolg mit
wenig Aufwand“